hockey.de Kolumne:


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Deutsch-chilenische Beziehungen

Hockeysport mit deutsch-geprägter Tradition in Santiago 

Rund 10.000 Kilometer östlich von Neuseeland, nach elf Stunden Flug über den Pazifik taucht an der südamerikanischen Küste Chile auf, doch auf der Hockeyweltkarte scheinen die beiden wunderschönen Länder derzeit direkt nebeneinander zu liegen: Mal wieder auf der Suche nach dem Hockeystadion Santiagos, in dem der zweite Olympia-Qualifier der Herren ausgetragen wird, traf ich am Eingang der Metrostation auf Kwandwane Browne, den karibischen Hockeyzauberer, den ich in Auckland kennen gelernt hatte. Auf meine verwunderte Frage, was er denn hier suche, antwortete er mir mit einem charmanten Lächeln, dass er an einem Trainerlehrgang der FIH teilnehme, der an sechs Tagen während des Qualifiers in Santiago stattfindet.

Später im Stadion erblickte ich dann Juan Grondona, der in Neuseeland als Teammanager der unglücklichen Argentinier dabei gewesen war. Dass er an diesem Trainerworkshop teilnehme, habe auch einen Grund, erzählt er mir stolz: Er habe nämlich von Sergio Vigil das Amt des argentinischen Nationaltrainers übernommen, nächste Woche hat er für die Mannschaft ein Trainingslager in Holland angesetzt, schließlich liege im Juni ja schon die nächste Champions Trophy in Rotterdam an. Schön zu sehen, dass sich auch die argentinische Hockeyerde weiterdreht.

In Santiago sind die Hoffnungen und Ambitionen der teilnehmenden Teams aus England, Indien, Österreich, Chile sowie Russland und Mexiko dagegen noch groß, das vorletzte Pekingticket zu ergattern. Die herrlich gelegene Clubanlage des Prince of Wales Country Clubs bietet dafür auch die besten Bedingungen: Ein neuer Kunstrasen wurde extra für die Veranstaltung angelegt, mit der Chile zum zweiten Mal nach der Weltmeisterschaft der weiblichen Juniorinnen 2005 ein wichtiges internationales Hockeyturnier austrägt.

Wie auch in Auckland sorgen Scharen von (diesmal weiß gekleideten) Volunteers und Sicherheitskräften für einen reibungslosen Ablauf, und auch das chilenische Publikum findet sich natürlich besonders zum Spiel ihrer Landsleute gegen Österreich zahlreich ein. Sogar als ihr Team gegen die hoch motivierten Österreicher nach 44 Minuten mit 1:4 hinten liegt, feuern die rund 1.500 Zuschauer ihre Spieler so lautstark an, dass die Chilenen sich noch bis zum 3:4 Endstand herankämpfen. In ihrer Unterstützung zeigen sich die Südamerikaner den Neuseeländern um Einiges voraus, und nach der kampfbetonten Begegnung sah man kaum enttäuschte Gesichter.

Aber natürlich können sich die Chilenen angesichts der zuvor souverän siegenden Favoriten aus England (11:0 gegen Mexiko) und Indien (8:0 gegen Russland) nicht allzu große Chancen auf den Turniersieg ausrechnen. „Es geht bei diesem olympischen Qualifikationsturnier besonders darum, in Chile für den Hockeysport zu werben“, betonte der Präsident des chilenischen Hockeyverbandes, Esteban Geyger, bei seiner Rede im Rahmen der Eröffnungsfeier.

Neben Reiten, Motorsport und Tennis gehört Hockey in Chile nämlich zu den Sportarten, die zwar beliebt, aber im Schatten des übermächtigen Fußballs vergleichsweise klein sind und als elitär gelten. So befindet sich die Hockeyanlage des Prince of Wales Country Clubs in einer der wohlhabendsten Gegenden Santiagos, die geräumigen Wohnhäuser des Viertels werden durch hohe Mauern und Stacheldraht abgeschirmt, und die Sauberkeit und Ruhe auf den Straßen steht im starken Kontrast zum wuseligen und stickigen Rest der chilenischen Hauptstadt. Und es gibt noch einen anderen augenfälligen Unterschied: Sowohl die Bewohner dieser vornehmen Stadtviertel als auch die Mitglieder des Hockeyclubs sind größtenteils europäischer Abstammung.

Schaut man in die Reihen der Zuschauer beim Qualifier oder in die der chilenischen Nationalmannschaft, erblickt man viele blonde, hellhäutige und groß gewachsene Menschen, die sich stark von der indianisch-südländischen Bevölkerung des Landes unterscheiden. Dass der Hockeysport in dem fernen Land eine stark deutschgeprägte Tradition hat, merkt man auch an den Familienamen der Nationalspieler: Anwandter, Vogel, Kuhenthal oder Stein, um nur einige zu nennen.

Ursprünglich wurden die deutschen Auswanderer, die man seit 1846 in den Süden Chiles lockte, natürlich weniger für ihre sportlichen Tugenden als für ihr Arbeitsethos und Organisationsgeschick sowie ihre Disziplin und Pünktlichkeit geschätzt. Die bekannte chilenische Schriftstellerin Isabelle Allende führt das auf eine offen rassistische Einwanderungspolitik zurück: „Man erwartete Ehen zwischen Einwanderern und Chilenen und dass die wenig präsentablen Einheimischen durch diese Mischung gewännen, zu der es in Valdivia und Osorno auch kam, zwei Provinzen, die sich heute mit großgewachsenen Männern, vollbusigen Frauen, blauäugigen Kindern und Apfelstrudel nach Originalrezept brüsten dürfen.“

So ist es nicht verwunderlich, dass man sich hier als Deutsche auf unangenehme Weise mit der Vergangenheit des eigenen Heimatlandes konfrontiert fühlt, von der Einwanderungswelle nach 1945 ganz zu Schweigen. Doch mittlerweile sind mit den Jahrzehnten auch neue Generationen ins Land gegangen, und deutsche Wörter im chilenischen Wortschatz wie „Kuchen“ können kaum als belastet angesehen werden. Eher Schmunzeln lassen einen auch die „preußischen Tugenden“, die sich in Chile verselbstständigt haben und weit über die Tradition aus ihrem Herkunftsland hinausschießen: Die Zuschauer beim Qualifier in Santiago müssen für ein Getränk oder einen Snack eine halbe Ewigkeit anstehen, denn jede Bestellung wird an einer separaten Kasse entgegengenommen, quittiert und ist erst gegen Vorlage des Durchschlags an der Theke einlösbar.

 

Der Blick über das Stadion in Chile bis hin zu den mächtigen Gebirgszügen vor den Toren Santiagos. Foto: Geiger

 
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