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Nach-Spiel in Japan

Die letzte Kolumne aus Japan / Nun Abreise nach Vancouver

Beijing, Beijing, wir fahren nach Beijing – auch ohne die Chorgesänge deutscher Fans und sogar gegen die lautstarken, einstudierten Anfeuerungsrufe der japanischen Anhänger haben sich die deutschen Hockeyherren ihr Peking-Ticket ergattert. Ganz so souverän wie die Engländer zuvor in Santiago haben sie ihre Aufgabe im Finale zwar nicht erfüllt, denn in der ersten Halbzeit hatten die Japaner durchaus hochkarätigere Chancen, doch in der zweiten Hälfte nahmen sie das Spiel in die Hand und siegten ungefährdet unter dem Jubel einer Handvoll schwarz-rot-goldener Fahnenschwenker, die sich nach Japan verirrt hatten.

Statt eines symbolischen Tickets wurde Timo Weß, der mit seinen fünf Eckentoren und einer tadellosen Leistung mit Max Müller in der Innenverteidigung auch als bester Spieler des Turniers geehrt wurde, in der kurz und schmerzlosen Siegerehrung im Anschluss ein winziger Pokal überreicht. Ganz so überschwänglich wie die Olympia-Qualifikations-Neulinge Italien zuvor, die ihren fünften Platz nach dem Sieg gegen die Schweiz wie olympisches Gold feierten, brachen die Weise-Jungs zwar nicht in Jubel aus, was ja auch eine Frage des Temperaments sein kann, aber die Erleichterung und Freude über den erwarteten Sieg war in ihren Gesangs- und Tanzeinlagen sehr wohl zu spüren.

Malaysia hatte im Spiel zuvor dann doch recht eindeutig Polen in die Schranken verwiesen, mit ein wenig Wut im Bauch vom gestrigen Ausscheiden. Nach der Begegnung gegen Japan, die durch ein Ausgleichstor in der vorletzten Spielminute entschieden wurde, hatten die malaysischen Betreuer stundenlang vor dem Büro des Turnierdirektors gecampt. Ihrem Einspruch gegen das Tor, an dem neben dem japanischen Schläger auch ein japanischer Fuß beteiligt war, konnte jedoch nicht stattgegeben werden – der Schiedsrichter durfte den Video-Umpire nicht zu Rate ziehen, so sind (noch?) die Regeln.

Die anderen Pechvögel des Turniers aus der Schweiz, die mit eindrucksvollen Leistungen während des Turniers auf sich aufmerksam machten, konnten ganz wie die US-Boys in Auckland ihren Sieg vom Vortag gegen Italien nicht wiederholen und wurden unverdient Letzter. Dem Schweizer Kapitän – so erzählte er es mir am verkaterten Morgen nach Turnierende im Zug auf dem Weg nach Tokio, wo er noch einen Freund besucht – habe es nun ein wenig den Hockeyappetit verschlagen, hoffentlich nur kurzzeitig.

Seine Mannschaftskollegen haben zusammen mit den Deutschen schon um 6 Uhr 30 vom Hotel in Gifu die Rückreise nach Europa angetreten – nach einer eher schlafarmen Nacht. Das Olympia-Ticket wurde zunächst in einer japanischen Pizzeria im entvölkerten Stadtzentrum Gifus begossen, Bier und Reden flossen bei ausgelassener Stimmung, danach noch in einer zimmergroßen Karaoke-Bar. Sie können stolz sein auf die harte und erfolgreiche Arbeit seit der verpassten Chance in Manchester. Und dass Olympia-Qualifikationen eine gute Vorbereitung für das eigentliche Turnier sind, weiß zumindest der Trainer aus eigener goldener Erfahrung.

In Japan bereitet man sich nun auf die eintreffende olympische Fackel vor, die am 26. April in der einstigen Winterspielstadt Nagano möglichst zwischenfallsfrei präsentiert werden soll. Dass zu diesem Zweck chinesische Sicherheitskräfte ins Land wollen, stößt in Japan auf recht großes Unbehagen, sind die beiden Nachbarländer ja immer noch nicht die dicksten Freunde. Auch ohne chinesische Hilfe würde der Event in Japan wohl ziemlich reibungslos ablaufen, ganz so wie der olympische Qualifier.

Knapp zwei Stunden nach dem finalen Schlusspfiff war das Stadion in Kakamigahara von Hunderten fleißiger Helferlein komplett aufgeräumt und in seinen ursprünglichen Zustand versetzt worden, so als hätte das ganze Turnier gar nicht stattgefunden – vielleicht ist das aber auch einfach die japanische Art zu trauern.

Charlotte Geiger

 

P.S.: Katerstimmung kehrt seit ein paar Tagen auch unter den japanischen Kirschbäumen ein, an denen inzwischen die allseits gefürchteten grünen Blättertriebe sprießen und alle japanischen Kirschblütenträume zerplatzen lassen.

 

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