Nr. 198 - 04. September 2007
Schwerpunktausgabe Jugendarbeit
In dieser Ausgabe der Vereinshilfe finden Sie drei Beiträge zur Jugendarbeit, die Ihnen aus unterschiedlichen Blickwinkeln helfen kann. Der erste Beitrag zeigt ganz praktisch einen Weg zur Lösung von Problemen auf. Im zweiten Beitrag werden Wege zur Nachwuchsgewinnung aufgezeigt und der dritte Beitrag stellt das Ergebnis der großen Jugendstudie vor, zeigt wie die Jugend sich selber sieht.
Kreativitätstechnik Zukunftswerkstatt
Problemlösungen im Verein gemeinsam erarbeiten
Wenn es um größere Vorhaben geht, nicht nur um die Planung einer Großveranstaltung sondern um die Entwicklung der Kinder- und Jugendarbeit des Vereines insgesamt, dann empfiehlt sich der Einsatz der Methode Zukunftswerkstatt.
Die "Zukunftswerkstatt" ist eine Methode, bei der durch differenzierte Fragestellungen in unterschiedlichen Phasen an einem Problem bzw. dessen Lösung gearbeitet wird, um die Zukunft vorausschauend und phantasievoll zu gestalten.
Im gewählten Beispiel treffen sich engagierte Mädchen und Frauen des Vereins, um sich systematisch mit den Problemen des Austretens vieler Mädchen aus dem Verein zu Beginn der Pubertät, mit dem fehlenden Sportangebot für Mädchen und Frauen sowie mit der Übermacht von Männern in Vorstandspositionen zu befassen.
Die Methode umfasst die folgenden drei Hauptphasen:
1. Beschwerdephase und Kritikphase
Die Teilnehmer äußern - möglichst frei von Zwängen und Einflüssen - Kritik, negative Erfahrungen zum ausgewählten Thema.
2. Fantasiephase und Utopiephase
Jetzt ist die Kreativität jedes Einzelnen gefragt. Jeder soll das Utopische denken. Hier darf und soll fantasiert werden.
3. Verwirklichungsphase und Praxisphase
Nun werden die ersten beiden Phasen verknüpft. Es wird abgeschätzt, was realisierbar ist.
Nun zum Beispiel
"Austreten vieler Mädchen aus dem Verein":
Phase 1 (Beschwerdephase und Kritikphase) 

Kritikphase bedeutet eine Kritiksammlung anhand von provozierenden Fragen wie: Was stört Dich? Was missfällt Dir? Was hast Du zu kritisieren? Die Stichwortsammlung wird für alle an der Wand aufgelistet.
Wichtig: die Personen müssen sich kurz fassen (max. 30 Sek.), jede Kritik auflisten und Grundsatzdiskussionen vermeiden.
Nachdem genug Kritikpunkte gesammelt und an der Wand aufgelistet sind, werden die Punkte thematisch geordnet und nach ihrer Bedeutung bewertet und gewichtet.
Die einzelnen Kritikpunkte werden erläutert und jeder Teilnehmer bekommt 3 - 7 Punkte, mit denen er einzelne Kritikpunkte priorisieren darf.
Alle Kritikpunkte werden thematisch geordnet zu Kritikthemenkreisen. Solche Kritikthemenkreise können sein:
• Fehlende Vielfalt von Bewegungsangeboten
• Mangelnde Anzahl von Übungsleiterinnen
• Kommunikationsstrukturen
• Entwicklung/Lebenswelten von Mädchen, Elternhaus
• Lebenslagen von Frauen
• Männer und Macht
Anschließend können sich zu den Themenkreisen Kleingruppen zusammenfinden, die aus den Stichworten des Themenkreises eine umfassendere Aussage/These entwickeln;
z. B. Stichwort Kommunikationsstrukturen:
Mädchen zu Beginn der Pubertät haben wenig Interesse am Kontakt mit gleichaltrigen Jungen, usw.
Phase 2 (Fantasiephase und Utopiephase) 

In der Fantasiephase werden in freien Assoziationen Wunschwelten, die langsam Gestalt annehmen, aus spontanen Einfällen, sich daran anknüpfenden Bildern, Verfremdungen und dem Weiterverfolgen von Gedankenketten erfunden. "Die Wirklichkeit spielt keine Rolle! Im Denken ist alles erlaubt, alles geht und ist möglich!"
Vor dem Start in die zweite Phase ist es ratsam, Lockerungsübungen und kleine Phantasiespiele mit der Gruppe durchführen, damit die Gedanken von Phase 1 gelöst werden.
Als nächstes werden die Kritikergebnisse (Kritikstichpunkte) in positiver Form auf Papierbogen umformuliert, z. B. "keine Hallenzeit für Mädchentanzgruppe" - "keine Halle mit Spiegelwand ohne Einblickmöglichkeiten von außen".
Im nächsten Schritt erfolgt eine Ideensammlung:
• Jeder Teilnehmer ruft spontan realistische wie unrealistische Vorschläge in den Raum.
• Ideen werden auf Wandpapieren festgehalten.
• Kritik an Äußerungen ist verboten.
Anschließend wird die Fantasieauswahl unter folgender Fragestellung durch eine Punktevergabe geordnet:
• Welche Neuerungen wünschen wir uns in der Zukunft?
• Welche Vorschläge / Ideen möchten wir verwirklicht sehen?
Durch Auswahl und Zusammenfassung der Vorschläge wird eine Ideenbank entwickelt. Im Anschluss daran werden Phantasiethemenkreise entwickelt, d. h. die Punkte der Ideenbank werden thematisch geordnet. Dies passiert in der Gesamtgruppe. Anschließend bilden sich Kleingruppen (max. 10 Personen), die die Ideen / Wunschvorstellungen / Fantasien zusammenhängend skizzieren.
Phase 3 (Verwirklichungsphase und Praxisphase)
Der Einstieg in die Verwirklichungsphase erfolgt über die Vorstellung und Diskussion der Fantasieergebnisse. Hierzu geben die folgenden Verwirklichungsschritte eine Orientierung:
Die utopischen Entwürfe, Vorschläge und Erfindungen werden auf ihre Realisierbarkeit hin geprüft.
• Inwieweit lassen sie sich jetzt schon in Angriff nehmen?
• Gibt es bereits reale Ansätze in dieser Richtung?
• Welche Hindernisse stehen dem entgegen?
Nachdem die Fantasieresultate geprüft und Verwirklichungsziele gefunden sind, werden Kleingruppen gebildet, in denen Durchsetzungsvorschläge erdacht werden, wenn möglich mit konkreter Maßnahmenplanung. (Begleitende Fragen:)
• Wie ist das Vorhaben zu finanzieren?
• Welches Engagement und welcher Einsatz werden verlangt?
• Wie soll es aussehen, wenn es fertig ist?
Danach werden praktische Schritte erarbeitet (Strategie).
• Woran muss unbedingt festgehalten werden?
• Gibt es Bündnispartner?
• Soll offen oder so lange wie möglich verdeckt vorgegangen werden?
Nachdem die Fantasieresultate geprüft und Verwirklichungsziele gefunden sind, folgt in Kleingruppenarbeit eine erneute Kreativphase, in der Durchsetzungsvorschläge erdacht werden. Danach soll die Gruppe die konkrete Aktionsplanung angehen, indem sie den Vorschlägen bestimmte Maßnahmen zuordnet. Die Umsetzungsgedanken werden schriftlich fixiert.
Ab jetzt geht es in die konkrete Umsetzung. Die einzelnen Maßnahmen müssen sich in der Praxis bewähren. Die Ziele werden im Rahmen eines langfristigen Planes angegangen. In regelmäßigen Abständen trifft sich die Gruppe zu Zwischenauswertungen.
Quelle: VIBSS
Jugendarbeit: Kontakte knüpfen, Mauern überwinden!
Richtig gute Mannschaftsspieler warten nicht geduldig, bis der Ball mal den Weg zu ihnen findet. Sie laufen sich frei und bieten sich an! Das ist auch für die Nachwuchsgewinnung Ihres Sportvereins ein prima Rezept: Machen Sie selbst den ersten Schritt!
Starten statt warten
Holen Sie Ihren Nachwuchs dort ab, wo er sich aufhält
Kinder und Jugendliche besitzen einen starken Bewegungsdrang, so viel ist klar. Weniger klar ist, wie Sportvereine sie zum Mitmachen bewegen. Wie sie den Impuls setzen, der Lust auf Vereinssport macht. Warten, bis die Jungen von selbst den Weg in den Verein finden? Das wäre eine unsportlich passive Einstellung. Gehen Sie stattdessen in die Offensive - gehen Sie auf junge Menschen zu!
Auswärtsspiele: Sie können sich Sehen lassen!
Wenn Ihr Verein auf einen Schwung neuer junger Mitspieler aus ist, dann muss er raus aus den eigenen vier Wänden. Er sollte sich dort zeigen, wo sich Kinder und Jugendliche aufhalten.
Schulpflicht - auch für Sportvereine
Erste Adresse für solche Gastspiele sind die Schulen. Nicht nur, weil Kinder und Jugendliche hier den halben Tag verbringen. Auch, weil sicherlich viele Schulen Kooperationen mit Sportvereinen zu schätzen wissen. Denn sie haben einiges zu gewinnen:
• Bewegende Pausenfüller
Bewegungsaktionen in den Schulpausen, die Ihr Verein organisieren könnte, kanalisieren den Bewegungsdrang konstruktiv und schaffen Erfolgserlebnisse.
• Unterricht mit Überraschung
Sportvorführungen und Trainingseinheiten, die Übungsleiter Ihres Vereins (gemeinsam mit jungen Vereinsmitgliedern) im Sportunterricht durchführen, bringen den Schülern Abwechslung und dem Lehrer Entlastung.
• Schulfach: Sport und Spaß
Sportevents, die Schule und Verein zusammen auf die Beine stellen, sind eine attraktive Ergänzung zum Lernalltag und geben Schulen ein freundlicheres "Gesicht".
Solche Aktionen haben ein klares Ziel: Schülerinnen und Schüler für den Vereinssport zu beigeistern. Ein Anliegen, das auch im Interesse der Schulen ist: Schüler, die nachmittags Sport treiben statt rumzuhängen, sind ausgeglichener und fiter. Deshalb: Nehmen Sie Kontakt mit den Schulen in Ihrer Gemeinde auf und loten Sie aus, welche Möglichkeiten der Zusammenarbeit bestehen, von der beide Seiten profitieren könnten!
Tipp: Vor der Kontaktaufnahme sollten Sie im Verein diskutieren, welche Interessen Sie verfolgen und wie sie sich verwirklichen lassen könnten. Berücksichtigen Sie besonders die Frage, wie Sie vom Auswärtsspiel eine Brücke zu einem Heimspiel schlagen, damit junge Interessierte Ihren Verein auch von innen kennen lernen. Laden Sie herzlich zum Besuch ein - im Gespräch und mit zusätzlichem Infoblatt, das einen konkreten Termin, die Wegbeschreibung und das Programm enthält. Klar, Sie dürfen keine leeren Versprechungen machen. Versichern Sie sich deshalb frühzeitig, dass Sie genügend Engagierte an Ihrer Seite haben, die an der Umsetzung mitwirken.
Kindergarten - hier wächst der Nachwuchs
Wenn Ihr Verein auch Sport für die ganz Kleinen anbietet (oder künftig anbieten möchte), sollten Sie auch mit Kindergärten ins Gespräch kommen. Bestimmt sind sie dankbar dafür, die Sportkompetenzen Ihres Vereins als Bereicherung für Mädchen und Jungen nutzen zu können.
Alle Arten Jugendhäuser - hohe Trefferquote an Treffpunkten
Es gibt mehr Ansatzpunkte für Kooperationen mit kommunalen Trägern und gewerblichen Anbietern in der Gemeinde, als man im ersten Moment glauben könnte:
• Sie könnten zum Beispiel die Tischtennisplatte im Jugendhaus nutzen, um "schlagartig" Lust auf Schmetterbälle zu machen.
• Oder im Feriencamp der Gemeinde mit einem Sportturnier Interesse am Vereinssport wecken.
• Aber auch gewerbliche Anbieter könnten an einer Zusammenarbeit interessiert sein. Zum Beispiel vor einem Kaufhaus ein Hockeytor aufbauen und den Kindern und Jugendlichen einen Anreiz (kleine Preise) bieten den Torhüter zu überwinden.
• Oder ein Sportgeschäft, in dem ein Sportverein vorführen könnte, was man mit den Sportgeräten, die es dort zu kaufen gibt, alles anstellen kann.
Es lohnt sich also, mit gemeinnützigen und gewerblichen Anbietern zu reden, die Treffpunkte von Kindern und Jugendlichen organisieren. Finden Sie gemeinsame Interessen heraus!
Über "Spielervermittler" ins Gespräch kommen
Wenn man andere Menschen gerade erst kennenlernt, ist es manchmal schwierig, die richtigen Worte und Gesten zu finden. Man kennt ihre Bedürfnisse und Interessen noch nicht und zuweilen nicht einmal ihre Ausdrucksweise. Mit anfänglichen Missverständnisse ist zu rechnen, zum Beispiel, wenn sich Menschen unterschiedlicher Kulturen begegnen - oder verschiedener Generationen. Wenn Erwachsene den Dialog mit Kindern und Jugendlichen suchen, sollten sie deshalb zuvor nach jemand anderem Ausschau halten: Einem "Scout", der das fremde Terrain kennt, auf dem sich ein Sportverein präsentieren möchte. Der Türen öffnet und über Sprachbarrieren hilft. Und zu guter Letzt seinen Einfluss nutzt, um die Meinungsbildung positiv zu fördern. Das setzt natürlich voraus, dass Sie (auch) ihn von Ihren Plänen und Zielen überzeugen!
• Tipp: Nutzen Sie die HockeyScout-Lehrgänge des Breitensportausschusses des DHB. Hier bekommen Sie das nötige Rüstzeug kompetent vermittelt.
Drehscheibe Schule - mit Lehrern Kontakte ankurbeln
Klar, in der Schule sind die Lehrer Ansprechpartner Nummer eins. Ihre Unterstützung ist der halbe Sieg. Machen Sie deutlich, was eine gemeinsame Aktion ihnen und ihren Schülern bringt. Nachdem es gelungen ist, sollten Sie Lehrern eine aktive Mitarbeit bei der Vorbereitung anbieten, denn sie
• kennen die Erwartungen der Schüler;
• wissen, was unter den örtlichen Bedingungen machbar ist;
• können interessierte Schüler motivieren, den nächsten Schritt zu tun und zum Beispiel an einem Probetraining teilzunehmen oder sich für eine Schnuppermitgliedschaft zu entscheiden.
Kinder und Jugendliche - die Resonanzverstärker
Es heißt zwar, dass der Prophet im eigenen Land nichts gilt, aber es gibt Ausnahmen. Eine davon lautet: Wer junge Menschen erreichen möchte, sollte junge Menschen als Vermittler nutzen. Denn die Anerkennung unter Gleichaltrigen spielt in Kindheit und Jugend eine große Rolle. Anders formuliert: Was andere aus der Altersgruppe "doof" finden, wird zum Ladenhüter, was hingegen "angesagt" ist, kann auf Zusagen hoffen. Daraus ergeben sich zwei Konsequenzen für die Nachwuchsgewinnung:
• Beziehen Sie Kinder und Jugendliche Ihres Vereins ein, wenn es darum geht, wie er sich präsentieren könnte - sie wissen, was ankommt.
• Lassen Sie die Jungen selbst gestalten: Wenn sie ihre Begeisterung spüren lassen, zum Beispiel während einer Sportvorführung in der Schule, dann wird der Funke leichter überspringen!
Nicht von schlechten Eltern - Mütter und Väter als Partner
Eltern üben nicht nur Einfluss auf die Sprösslinge aus, sondern entscheiden in vielen Fragen mit. So oder so: Der Weg zu den Jungen führt (auch) über die Eltern. Machen Sie ihnen verständlich, warum die Vereinsmitgliedschaft im Familieninteresse ist - so sichern Sie sich ihre Unterstützung.
Doch was ist Eltern eigentlich wichtig? Von welchen Faktoren hängt Ihre Entscheidung ab, den Nachwuchs im Verein anzumelden? Das lesen Sie im kommenden Beitrag "Aus der Reihe tanzen ist die beste Werbung".
Betreuer und Betreiber - dank Insiderwissen gut vorbereitet
Was die Lehrer an den Schulen, sind die Betreuer in pädagogischen Einrichtungen. Auch mit ihnen sollten Sie intensive Vorgespräche führen, um eine geplante Veranstaltung optimal auf die Erwartungen Ihrer Zielgruppe(n) und die Bedingungen vor Ort einzustellen.
Ähnliches gilt für die Betreiber kommunaler oder kommerzieller Einrichtungen: Sie kennen ihr "Publikum" und können Ihnen wichtige Hinweise und Empfehlungen geben.
Quelle: ehrenamt-im-sport
15. Shell Jugendstudie:
Jugend 2006 - Eine pragmatische Generation unter Druck
Zum 15. Mal haben Wissenschaftler die Lebenswelt der Jugendlichen und ihre Werte, Hoffnungen und Vorstellungen untersucht. Wie sieht sich unsere Jugend selber und was will sie? Wie sieht sie die ältere Generation und das Problem der Alterspyramide? Das Ergebnis kann man in diesen fünf Punkten zusammenfassen.
• Mädchen sind auf der Überholspur
• Bildung als Schlüsselfrage
• Wunsch nach Gerechtigkeit zwischen den Generationen
• Stabile Wertorientierungen
• Nüchternere Sichtweise auf Europa
Jugendliche heute haben ein hohes Maß an Bewusstsein für die großen Themen der Gesellschaft. Vom Altern der Gesellschaft über Probleme am Arbeitsmarkt bis hin zu ihren eigenen Zukunftsperspektiven: Jugendliche stellen sich den Herausforderungen. Was auch auf sie zukommt - sie suchen eine Lösung; sie lassen sich dabei nicht entmutigen.
Das Altern der Gesellschaft und damit verbundene Probleme sind den jungen Leuten bewusst. Zum ersten Mal stellt die Shell Jugendstudie Fragen, die mit dem demografischen Wandel der Gesellschaft in Zusammenhang stehen. Das Resultat: Jugendliche heute haben großen Respekt vor der älteren Generation. Sie sehen ihre Zukunftsaussichten heute als ungewisser als noch vor vier Jahren. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Familie wieder stärker an Bedeutung. 72 Prozent der Jugendlichen sind der Meinung, dass man eine Familie braucht, um wirklich glücklich leben zu können. Die aktuelle Studie zeigt, dass die Jugendlichen heute über ein stabiles Wertesystem verfügen. Ausführlicher als früher befasst sich die 15. Shell Jugendstudie mit der Einstellung der Jugend zu Religion und Kirche. Die Jugendlichen von heute bejahen zwar grundsätzlich die Institution der Kirche, vermissen von dieser jedoch zeitgemäße Antworten auf wichtige Lebensfragen, die sie bewegen.
Zu diesen Erkenntnissen kommt die 15. Shell Jugendstudie. Die Untersuchung wurde gemeinsam von den Bielefelder Sozialwissenschaftlern Professor Dr. Klaus Hurrelmann und Professor Dr. Mathias Albert und einem Expertenteam des Münchner Forschungsinstituts TNS Infratest Sozialforschung unter Leitung von Ulrich Schneekloth verfasst. Im Auftrag der Deutschen Shell befragten die Experten 2006 mehr als 2.500 Jugendliche im Alter von 12 bis 25 Jahren zu ihrer Lebenssituation, ihren Glaubens- und Wertvorstellungen und ihrer Einstellung zur Politik. Seit 53 Jahren beauftragt Shell unabhängige Forscherteams, um Jugendstudien herauszugeben, die jeweils eine aktuelle Sicht auf die Jugendgeneration und ihre Zukunftssichten ermöglichen.
Der noch 2002 festgestellte große persönliche Optimismus hat inzwischen einer etwas gemischteren Sichtweise Platz gemacht - die in der Shell Jugendstudie 2002 identifizierte pragmatische Generation ist unter Druck geraten. Von Resignation und Ausstieg in vermeintliche jugendliche Ersatzwelten kann aber nach wie vor keine Rede sein.
"Aufstieg statt Ausstieg" bleibt die Devise der Jugendlichen. Sie suchen individuelle Wege und schaffen Strukturen, in denen sie weiterkommen können. Auch wenn ihre Aussichten ihnen vielleicht düsterer erscheinen als noch vor vier Jahren und die Rahmenbedingungen am Arbeitsmarkt den persönlichen Optimismus dämpfen: Sie lassen sich nicht entmutigen.
Bildung entscheidet über Zukunft
Der Schulabschluss bleibt der Schlüssel zum Erfolg: Jugendliche aus sozial bessergestellten Elternhäusern besuchen aussichtsreichere Schulformen als Jugendliche aus sozial schwierigeren Verhältnissen. Diese finden sich häufig an Hauptschulen und Sonderschulen und erzielen auch in der anschließenden Ausbildung nicht die Resultate, die ihrem Potenzial entsprechen.
Jugendliche an Hauptschulen blicken dabei nicht ganz so optimistisch in die Zukunft wie ihre Altersgenossen an Gymnasien. Auch in puncto Arbeitsplatz zeigt die Shell Jugendstudie 2006, dass Jugendliche deutlich stärker besorgt sind, ihren Arbeitsplatz zu verlieren bzw. keine adäquate Beschäftigung finden zu können, als noch vor vier Jahren. Dennoch - die Suche nach individuellen Lösungsansätzen überwiegt.
Mädchen auf der Überholspur
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang der geschlechtsspezifische Trend. Junge Frauen haben im Bereich der Schulbildung die jungen Männer überholt und streben auch zukünftig häufiger höherwertige Bildungsabschlüsse an - ein Trend, der sich bereits in der Shell Jugendstudie 2002 angedeutet hatte. 2006 streben 55 Prozent der befragten Mädchen das Abitur an, hingegen nur 47 Prozent der Jungen.
Was die Planung einer eigenen Familie anbetrifft, zeigt sich auch hier der pragmatische Ansatz der jungen Generation. Die Zahl junger Erwachsener, die zunächst auf eigene Kinder und Familie verzichten, wächst. Dabei ist es nicht so, dass junge Frauen keine eigenen Kinder wollen. Sie sehen sich jedoch bei der Familiengründung mit vielfältigen Schwierigkeiten konfrontiert, weil Ausbildung, berufliche Integration und Partnerschaft mit Familiengründung in einem sehr kurzen Zeitfenster komprimiert sind - der so genannten Rushhour des Lebens. Die jungen Frauen nehmen äußerst sensibel wahr, welche Probleme mit Nachwuchs und dem Vorankommen im Berufsleben verbunden sind.
Familie gewinnt an Bedeutung
Der Rückhalt im privat-familiären Bereich entschärft Spannungen. In Zeiten wirtschaftlicher Unsicherheit bietet die Familie Sicherheit, sozialen Rückhalt und emotionale Unterstützung. Fast drei Viertel der Jugendlichen (73 Prozent) von 18 bis 21 Jahren leben noch bei ihren Eltern. Harmonie in den eigenen vier Wänden ist angesagt: 90 Prozent der Jugendlichen bekunden, gut mit ihren Eltern auszukommen, und 71 Prozent würden auch ihre eigenen Kinder genauso oder so ähnlich erziehen wollen.
Großer Respekt vor der älteren Generation
Die befragten Jugendlichen nehmen die ältere Generation in ihrer charakteristischen Unterschiedlichkeit wahr. Zum einen gibt es die Hochbetagten. Diese Generation genießt das Image der "Aufbaugeneration" - ihre Leistung bringt ihnen die Achtung der Jugendlichen ein. Auf der anderen Seite stehen die "Jungen Alten" - fit, aktiv und offen für Neues. Das nehmen die Jugendlichen grundsätzlich positiv auf. Es wird erst dann problematisch, wenn die Senioren sich zu sehr einmischen oder zur Konkurrenz werden - wie zum Beispiel bezüglich Seminarplätzen an der Universität.
Die wachsende Zahl alter Menschen zu versorgen und zu integrieren sehen die befragten Jugendlichen als primäres Problem einer alternden Gesellschaft. Der vorherrschende Eindruck aus den Interviews: Die Alten, die die Bundesrepublik zu dem gemacht haben, was sie nun ist, sollen gut versorgt werden. 43 Prozent der befragten Jugendlichen sind der Meinung, dass der Wohlstand zwischen den Generationen gerecht verteilt ist. 34 Prozent fordern, dass die Älteren zurückstecken sollten, während 12 Prozent angeben, dass die Jüngeren ihre Ansprüche reduzieren sollten. Junge Leute heute vertreten den Wunsch nach Fairness und Gerechtigkeit zwischen den Generationen.
Keine Renaissance der Religion
Sowohl beim Katholischen Weltjugendtag in Köln 2005 als auch beim Tod von Papst Johannes Paul II. waren Jugendliche aus aller Welt in den Medien äußerst präsent. Daher wird in der Öffentlichkeit gelegentlich über eine "Renaissance der Religion" bei Jugendlichen spekuliert. Die aktuelle Shell Jugendstudie zeigt allerdings, dass die meisten Jugendlichen in Deutschland nach wie vor eine nur mäßige Beziehung zu kirchlich-religiösen Glaubensvorgaben haben. Nur 30 Prozent glauben an einen persönlichen Gott, weitere 19 Prozent an eine unpersönliche höhere Macht. 28 Prozent der Jugendlichen stehen dagegen der Religion fern, der Rest (23 Prozent) ist sich in religiösen Dingen unsicher. Typisch für die heutige Jugend ist, dass sie zwar die Institution der Kirche grundsätzlich bejaht, gleichzeitig aber eine ausgeprägte Kirchenkritik äußert. 65 Prozent finden, die Kirche habe keine Antworten auf Fragen, die Jugendliche heute wirklich bewegen.
"Religion light" bei westdeutschen Jugendlichen
Während in den neuen Ländern die große Mehrheit der Jugend kaum einen Bezug zu Religion und Kirche hat, pflegen die meisten westdeutschen Jugendlichen eine Art „Religion light“. Sie basteln sich aus religiösen und pseudo-religiösen Versatzstücken eine Art "Patchwork"-Religion zusammen. Für ihre Lebensführung ist jedoch vor allem ein säkularisiertes Wertesystem ausschlaggebend.
Mehr "echte" Religiosität bei Migranten
Anders sieht es in der Gruppe der Jugendlichen mit Migrationshintergrund aus, bei denen "echte" Religiosität noch einen starken Rückhalt hat. 52 Prozent der ausländischen Jugendlichen glauben an einen persönlichen Gott, gegenüber nur 28 Prozent der deutschen Jugendlichen. Trotz großer religiöser Unterschiede gibt es jedoch viele Ähnlichkeiten in den Wertorientierungen jugendlicher Migranten, ostdeutscher und westdeutscher Jugendlicher.
Weiter Aufwind für Fleiß und Ehrgeiz
Das Wertesystem der Jugendlichen weist eine positive und stabile Ausrichtung auf. Familie, Freundschaft, Partnerschaft sowie Eigenverantwortung sind weiter "in", begleitet von einem erhöhten Streben nach persönlicher Unabhängigkeit. Kreativität, aber auch Sicherheit und Ordnung werden als wichtig eingestuft. Die Tugenden Fleiß und Ehrgeiz befinden sich weiter im Aufwind. Damit vermischen sich in den Lebensorientierungen junger Menschen weiterhin moderne und traditionelle Werte.
Mädchen und junge Frauen sind auch 2006 wie bereits 2002 das wertebewusstere Geschlecht. Orientierungen wie Umwelt- und Gesundheitsbewusstsein sowie soziales Engagement sind für sie wichtiger als für Jungen und junge Männer. Das betrifft auch die Bewertung von Beziehungen in Familie und Partnerschaft, das Achten auf die eigenen Gefühle sowie die Bewertung von Sekundärtugenden wie Ordnung und Sicherheit. Mädchen und junge Frauen sind dennoch ebenso ehrgeizig wie Jungen und junge Männer, die sich allerdings konkurrenzorientierter geben.
Interesse an Politik und Parteien steigt leicht an
Das Interesse an Politik ist weiterhin niedrig. Trotz eines leichten Anstiegs im Vergleich zur Shell Jugendstudie 2002 wäre es noch verfrüht, von einer Trendwende zu sprechen. Lag der Prozentsatz der politisch Interessierten 2002 bei 34 Prozent, so hat er sich nun auf 39 Prozent erhöht. Auch hier macht sich das unterschiedliche Bildungsniveau bemerkbar: Mehr als zwei Drittel der Oberstufenschüler und der Studierenden stufen sich als politikinteressiert ein.
Auch das Vertrauen der Heranwachsenden in die politischen Parteien und in die Bundesregierung ist weiterhin gering. Politik stellt für die Mehrheit der Jugendlichen keine Größe mehr dar, an der sie sich orientieren können. Was jedoch nicht bedeutet, dass Jugendliche keine eigenen Interessen hätten, für deren Verwirklichung sie sich auch einsetzen.
Absage an politischen Extremismus
Nicht verändert hat sich die politische Positionierung. Im Unterschied zur Gesamtbevölkerung ordnen Jugendliche sich im Durchschnitt leicht links von der Mitte ein. Die Mehrheit hält Demokratie für eine gute Staatsform. Dem politischen Extremismus wird eine klare Absage erteilt. Grundlegende Spielregeln der Demokratie wie Meinungsfreiheit und freie Wahlen sind unumstritten.
Engagement für andere weiterhin auf hohem Niveau
Trotz des geringen politischen Interesses sind viele Jugendliche in ihrem Lebensumfeld gesellschaftlich aktiv. Einsatz für die Gesellschaft und für andere Menschen gehört ganz selbstverständlich zum persönlichen Lebensstil dazu. 33 Prozent der Jugendlichen geben an, "oft", und weitere 42 Prozent, "gelegentlich" für soziale oder gesellschaftliche Zwecke in ihrer Freizeit aktiv zu sein. Das Niveau ist vergleichbar hoch wie im Jahr 2002.
Im Vordergrund steht der Einsatz für die Interessen von Jugendlichen, etwa im Rahmen einer sinnvollen Freizeitgestaltung. Hinzu kommt Engagement für sozial schwache oder benachteiligte Menschen, für ein besseres Zusammenleben oder auch Sicherheit und Ordnung im Wohngebiet oder sonstige konkrete Fragen. Bürgerinitiativen, Parteien und Verbände oder auch Hilfsorganisationen spielen dabei allerdings eine untergeordnete Rolle.
Auch hier gilt: Je höher das Bildungsniveau und die soziale Schicht, desto intensiver das gesellschaftliche Engagement der Jugendlichen. Die Haltung der Jugendlichen zu gesellschaftlichen Aktivitäten entspricht ihrem pragmatischen Ansatz. Es sind nicht ideologische Konzepte oder gesellschaftliche Utopien, die sie verfolgen. Weitaus wichtiger ist die persönliche Befriedigung - jenseits großer Entwürfe oder einer neuen Bewegung.
Europa und die Globalisierung
Europa ist weiterhin angesagt: 60 Prozent bezeichnen Europa im Vergleich zu 62 Prozent im Jahr 2002 nach wie vor als "in". Im Vergleich zur Shell Jugendstudie 2002 ist die "Europa-Euphorie" aber inzwischen einer etwas nüchterneren Betrachtungsweise gewichen. Junge Leute kritisieren vor allem Bürokratie und Geldverschwendung in Europa.
Für einen möglichen Beitritt der Türkei zur Europäischen Union sprechen sich nur 19 Prozent der Jugendlichen aus. 61 Prozent lehnen dies momentan ab, und 20 Prozent haben hierzu keine Meinung.
Den Prozess der Globalisierung betrachten die Jugendlichen zunehmend kritisch. Auffällig dabei: Immerhin 24 Prozent geben an, von Globalisierung noch nichts gehört zu haben. Insbesondere bei den Jüngeren gibt es offenbar noch große Kenntnisdefizite.
48 Prozent der Jugendlichen gehen davon aus, dass ihnen die Globalisierung sowohl Vorteile als auch Nachteile bringen wird. Auf Vorteile wie größere Freizügigkeit oder kulturelle Vielfalt verweisen 18 Prozent. Nachteile wie Kriminalität oder Arbeitslosigkeit - hervorgerufen durch Globalisierung - empfinden 27 Prozent der Jugendlichen. Im Vergleich zu 2002 ist diese Einschätzung tendenziell etwas skeptischer.
Geht es darum, Einfluss auf die Globalisierung zu nehmen, vertrauen Jugendliche vorrangig auf Organisationen wie die EU oder die UN. Auch den nationalen Regierungen wird diesbezüglich Bedeutung beigemessen. Globalisierungs-Kritiker wie Attac oder Verbraucherschutzorganisationen gelten eher als Korrektiv denn als gestaltende Kraft. Gering ist das Vertrauen in die USA oder auch in China als mögliches zukünftiges globales Zentrum.
Methodik und Tradition der Studie
Mit der 15. Shell Jugendstudie setzt die Deutsche Shell ihr Engagement in der Jugendforschung fort. Bereits seit 1953 beauftragt das Energieunternehmen führende Forschungsinstitute mit der Erstellung von Studien, um Einstellungen, Stimmungen und Erwartungen von Jugendlichen zu dokumentieren. "Die Jugend sieht sich zunehmend größeren Herausforderungen ausgesetzt", sagt Kurt Döhmel, Vorsitzender der Geschäftsführung Deutsche Shell Holding GmbH. "Es ist daher wichtig zu erfahren, wie die Jugend sich selbst und ihre Zukunft sieht, um Denk- und Diskussionsanstöße für Politik und Gesellschaft zu geben."
Die Shell Jugendstudie 2006 stützt sich auf eine repräsentativ zusammengesetzte Stichprobe von 2.532 Jugendlichen im Alter von 12 bis 25 Jahren aus den alten und neuen Bundesländern, die von geschulten TNS-Infratest-Interviewern zu ihrer Lebenssituation und zu ihren Einstellungen und Orientierungen persönlich befragt wurden. Die Erhebung fand auf Grundlage eines standardisierten Fragebogens im Zeitraum von Anfang Januar bis Mitte Februar 2006 statt. Im Rahmen der qualitativen Vertiefungsstudie wurden 25 explorative Interviews mit Jugendlichen im Alter von 15 bis 25 Jahren durchgeführt. 20 dieser Einzelfallstudien werden als Portraits vorgestellt.
Die 15. Shell Jugendstudie ist im Fischer Taschenbuch Verlag unter dem Titel "Jugend 2006 - Eine pragmatische Generation unter Druck" erschienen und ist im Buchhandel erhältlich (ISBN 3-596-17213-6, EUR 14,95).
Weitere Informationen zur 15. Shell Jugendstudie finden Sie im Internet unter www.shell-jugendstudie.de.
Quelle: shell.com
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