Unruheherd Silke Müller
Das Endspiel begann mit zehnminütiger Verspätung, weil Schiedsrichterin Renate Peters aufgrund von Verzögerungen der Bahn erst eine knappe halbe Stunde vor dem angesetzten Spieltermin um 15 Uhr auf der RW-Anlage eingetroffen war. Zu spät dran schienen in den folgenden 35 Minuten der ersten Halbzeit auch oftmals die Kölner Spielerinnen. Da war kaum einmal ein vernünftiger Spielzug dabei, auch individuell leisteten sich die Rot-Weissen eine Menge Fehler. Im Vergleich zu den zuletzt locker-leichten Bundesliga-Auftritten wirkte Köln seltsam verkrampft und gehemmt.
Dass im Spiel des Favoriten vom Anpfiff weg viel Sand im Getriebe war und keine Entfaltung aufkommen wollte, lag zum Großteil an der geschickten Raumaufteilung des Gegners. Spielerisch war sicherlich auch auf Rüsselsheimer Seite nicht alles Gold, doch zumindest in der ersten Hälfte hatte man den Gastgeber fest im Griff und nach hinten kaum Gefahr zu befürchten. Einen einzigen Torschuss, relativ gefahrlos dazu, musste RRK-Torfrau Barbara Vogel parieren, als Heike Lätzsch von halbrechter Position abzog (18.). Die Nationalstürmerin wurde ansonsten von Sybille Breivogel so gut und wirkungsvoll markiert, dass Lätzsch in der zweiten Halbzeit oft weit weg vom rechten Flügel marschieren musste, um besser zum Zug zu kommen.
Weit mehr los war in der Kölner Hälfte. Denn Rüsselsheim suchte vom Start weg den Gang nach vorne, war also keineswegs mit Defensivtaktik angereist. Aggressiver und zweikampfstärker als der Gegner wurde dieser unter Druck gesetzt und zu Fehlern im Spielaufbau verleitet. Ein solcher unterlief RW-Kapitänin Franziska Gude mit der Folge der ersten Strafecke (11.). Kleckers Direktschuss wurde zur Beute von Birgit Beyer, die zehn Minuten später auch bei Baleks Ablegerschuss nach der zweiten Ecke auf dem Posten war.
Kurz darauf wäre die Ex-Nationaltorhüterin machtlos gewesen, als sich die RRK-Internationalen Mandy Haase und Silke Müller über links glänzend bis in den Kölner Schusskreis kombinierten und Müller wunderbar auf Nina Günther quer legte, die aber aus kürzester Distanz vor dem leeren Tor über den nicht ganz flach anfliegenden Ball haute (23.). Es war die größte Chance im ganzen Spiel.
Immer wenn Silke Müller in vorderster Front angespielt wurde, herrschte Alarmstufe eins in der Kölner Abwehr. Die RRK-Nationalspielerin war mit der Flinkheit ihrer Beine und ihrer Schlägerbewegungen ein ständiger Unruheherd. Einzig Marion Rodewald, die in der Kölner Innenverteidigung eine starke Leistung bot, schien fähig, die Nationalteamkollegin stoppen zu können.
Sekunden vor der Pause bot sich Rüsselsheim die letzte Chance im ersten Durchgang, die optische Überlegenheit in Zählbares umzumünzen, doch auch die dritte Ecke (wieder als Ablegervariante über Balek gespielt) wurde von Beyer gestoppt.
Nach dem Seitenwechsel schien es erst einmal im gleichen Stile weiterzugehen. Rüsselsheim agierte mutiger und nach vorne, Köln fehlte immer noch die Sicherheit im Aufbau. Erst als der RRK seine vierte Ecke (42./Klecker-Schlag zu hoch) ausgelassen hatte, kam der Titelverteidiger allmählich in Schwung. Jetzt gab es einige gelungene Kombinationen, und plötzlich fanden sich auch Lücken in der bis dahin so sattelfesten RRK-Defensive.
Von nun an war es ein gleichwertiger Schlagabtausch mit Erfolg versprechenden Szenen auf beiden Seiten, aber weiterhin auch Leerlauf und hoher Fehlerquote. Nach einem abgefälschten Freischlag bot sich Lena Schüder die Chance zum Führungstor. Ihrem guten Schuss folgte eine noch bessere Parade von Beyer (46.), die gegen die anschließende fünfte RRK-Ecke nichts tun musste, weil ein Stoppfehler die Situation zunichte machte.
Dann lag den Kölner Fans viermal in kurzer Zeit der Torschrei auf den Lippen, doch Geiter kam gegen Vogel den berühmten Schritt zu spät (51.), Gude schoss über die Latte (53.), die erste RW-Ecke wurde nach Ablage auf Andrea Wicken vor der Linie von Balek unschädlich gemacht (55.), und schließlich zischte eine argentinische Rückhand von Katrin Eidinger knapp am Kasten vorbei (56.).
Die letzten Chancen, in der regulären Spielzeit das ersehnte Tor zu machen, boten sich dann aber Rüsselsheim. Zwei weitere Ecken (59./Klecker-Schuss von Beyer gehalten; 63./ Klecker-Schuss abgelaufen) verpufften wirkungslos, und bei einer argentinischen Rückhand von Müller (62.) riss Beyer fantastisch die Hände hoch.
0:0 nach 70 Minuten, die Verlängerung (ohne Golden Goal) musste her. Der Auftakt der insgesamt 15-minütigen Extrazeit war spektakulär. Lätzsch (71.) konnte endlich einmal ihre überragende Schnelligkeit ausspielen. Ihr unwiderstehlicher 60-Meter-Lauf über die rechte Spur war alleine das Eintrittsgeld wert, und wären Geiter und Hoyer in der Mitte mit ihrem Versuch, per tiefem Brett in die gute Flanke zu rutschen, ein wenig eher dran gewesen, hätte das wohl das 1:0 bedeutet.
Nicht viel weiter vom Erfolg entfernt war Köln fünf Minuten später, als bei der zweiten RW-Ecke der Wicken-Schrubber von der Verteidigung hoch Richtung Tor abgefälscht wurde und Kerstin Hoyer („Es sah vielleicht so aus, als ob der Ball auch so reingegangen wäre, aber ich war mir sicher, dass er vorbei wäre, deshalb habe ich ihn abzulenken versucht“) bei ihrem Tip-in-Versuch aus kurzer Torentfernung nicht vom Glück verfolgt war. Eine Rückhand von Lena Jacobi, die zur sicheren Beute von Beyer wurde, stellte die einzige echte Torchance der zweiten Verlängerungshälfte dar.
Nach 85 Spielminuten war immer noch war kein Tor gefallen, jetzt musste der Meister im Siebenmeterschießen gefunden werden. Und diese Entscheidung vom berühmten Punkt aus war gekennzeichnet von einer ungewöhnlich hohen Quote an exzellenten Schlenzbällen. Balek (1:0), Schütze (1:1), Klecker (2:1) und Wicken (2:2) ließen den Torfrauen keine Chance. Viel Dusel hatte Britta Becker, dass ihr vom Schläger abgerutschter Ball den Weg flach ins andere Eck fand und dabei Beyer ungewollt verlud (3:2). Sicher schweißten danach Rodewald (3:3) und Lena Jacobi (4:3/fast ein „Wembley-Tor“) ihre Bälle ein. Dann war Laura Lembke an der Reihe. Auch ihr Schlenzer nicht schlecht, aber Vogel kratzte den Ball schulterhoch mit dem Stock von der Linie.
Jetzt hatte Tanja Dickenscheid die große Chance, alles zu entscheiden,. und die vor einigen Wochen reaktivierte Ex-Nationalspielerin war cool genug, Beyer in die falsche Ecke zu schicken und mit dem 5:3 einen kollektiven Sturm der Kolleginnen auf die Siegtorschützin zu entfachen.
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lim
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